3.6. Rechtliche Problematik beim Wohnen im Wagen:

Wer im Wagen leben will, hat mit einer Fülle von Regelwerken, Gesetzen, Anordnungen und Bestimmungen zu rechnen, die explizit festlegen, ob und unter welchen Umständen ein Wohnen im Wagen erlaubt werden kann:

Nach der Niedersächsischen Bauordnung (1) (NBauO) 2 Abs. 1 sind Bau- Zirkus-, Wohnwagen u.ä. als "Bauliche Anlagen" zu betrachten und unterliegen somit der Genehmigungsflicht: (1) Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene oder auf ihm ruhende, aus Baustoffen und Bauteilen hergestellte Anlagen. Eine Verbindung mit dem Boden besteht auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Boden ruht (...) oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt, überwiegend ortsfest benutzt zu werden. Dies gilt vor allem für Fahrzeuge, die wie Gebäude o. dergl. benutzt werden. Dabei ist es unerheblich, ob diese fahrtüchtig sind oder nicht. (2)

Auch der Begriff der sog. "fliegenden Bauten" (3) ist eindeutig in 84 NBauO definiert und läßt dem Wagenwohnenden, da Wohnwagen und selbst Zelte ausdrücklich ausgeklammert sind, keinerlei Spielraum. Es liegt also bei der jeweilig zuständigen Baubehörde, ob diese eine dementsprechende Genehmigung erteilt. Da sie aber dem allgemeinen politischem und gesellschaftlichen Umfeld verflichtet ist, ist der dabei zur Verfügung stehende Spielraum für die Entscheidungsgründe beträchtlich. Dieser Spielraum allerdings wird i.d.R. zu Lasten der Wagenbewohner ausgelegt.

In 1 NBauO werden die baulichen Anlagen grundsätzlich - aber interpretierbar - bewertet: (1) Bauliche Anlagen müssen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geignet sein, daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährdet wird. Besonders dürfen Leben oder Gesundheit nicht bedroht werden. Unzumutbare Belästigungen oder unzumutbare Verkehrsbehinderungen dürfen nicht entstehen. (3)

Bauliche Anlagen dürfen nicht verunstaltet wirken und dürfen auch das Gesamtbild ihrer Umgebung nicht verunstalten.

Da hilft es auch nicht, auf einen der vielen bundesweiten Campingplätze oder Kleingartenanlagen auszuweichen. Diese nämlich sind als ganzes schon als bauliche Anlage eingestuft und lassen ein dauerhaftes Wohnen nicht zu. Das bundesweit einheitliche Baugesetzbuch (BauGB) wiederum regelt in 35 das Bauen im sog. Außenbereich (4) und ist somit also für alle Wagenbewohner, die im ländlichen Raum siedeln, von existientiellem Belang.

Danach ist das Bauen grundsätzlich nur der sog. "privilegierten" (5) Benutzung vorbehalten, ansonsten besteht i.d.R. ein allgemeines, absolutes Bauverbot.

Aus einer Räumungsverfügung: Das betreffende Grundstück liegt im Außenbereich (...). Der Wohnwagen dient keinem landwirtschaflichen Betrieb und ist auch sonst in keiner Weise gemäß 35 Abs.1 BauGB im Außenbereich privilegiert.

Der Wohnwagen ist gemaß 35 Abs. 2 BauGB als sonstiges Vorhaben im Außenbereich nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden. Durch die Aufstellung des Holzwagens zu Wohnzwecken entsteht ein Siedlungssplitter, der beim Gesetzgeber grundsätzlich unerwünscht ist. Darüber hinaus wir die natürliche Eigenart der Landschaft durch den Wohnwagen mit seinen baulichen Anlagen beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung (...) erfolgt durch jede nicht natürlich gewachsene Anlage.

Aufgrund der Beinträchtigung dieser öffentlichen Belange ist der Holzwagen mit der Wohnnutzung und die Nebenanlagen (6) auf dem o.a. Grundstück unzulässig und damit materiell baurechtswidrig. Diese baulichen Anlagen sind formell baurechtswidrig, weil sie ohne die gemäß 68 Abs. 1 NBauO erforderlichen Baugenehmigung aufgestellt und genutzt worden sind.

Zur Beseitigung dieser baurechtswidrigen Zustände kann der Landkreis (...) gemäß 89 Abs. 1 NBauO entsprechende Maßnahmen ergreifen. Die Aufgabe des Holzwagens (...) ist auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit am besten geeignet, wieder ordnungsgemäße Zustände herzustellen. Die sofortige Vollziehung dieses Bescheides wird gemäß 80 Abs. 2 Ziffer 4 der Verwaltungsgerichtsordnung angeordnet.

Diese Anordnung bedeutet, daß ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat.

Nach ständiger Rechtssprechung liegt in der Baugenehmigungspflicht ein präventives Bau- und Nutzungsverbot, zu dessen Durchsetzung die Bauaufsichtsbehörde im Falle der Verletzung regelmäßig eine mit Vollziehungsanordnung verbundene Nutzungsuntersagung und Beseitigungsverfügung erlassen darf. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß rechtswidrige Baumaßnahmen nicht hingenommen werden können, ohne auf die Dauer das Baugenehmigungsverfahren selbst in Frage zu stellen und rechtswidrige Baumaßnahmen gleichsam zu belohnen. (...)

Im vorliegenden Fall ist der Wohnwagen mit seiner Wohnnutzung auch materiell baurechtswidrig. Es kann aus Gründen der Gleichberechtigung nicht hingenommen werden, daß der Holzwagen einschließlich der Wohnnutzung bis zum Abschluß eines evt. Widerspruchs- und Klageverfahren, das u.U. über Jahre dauern kann, dort stehenbleiben kann. Andere Bauwillige, die zunächst den Ausgang des Baugenehmigungsverfahren abwarten, bevor sie die Baumaßnahme durchführen, würden dadurch benachteilt werden. Schließlich könnte das Verbleiben des Wohnwagens an der Stelle andere zur Nachahmung anregen.

Aus diesen Gründen liegt die Anordnung der sofortigen Vollziehung im besonderen öffentlichen Interesse.

Die Baubehörde hat in diesem Fall das Wohnen im (Bau)wagen mit dem Errichten eines Hauses ohne Baugenehmigung (Schwarzbau) gleichgesetzt und sich bei der juristischen Bewertung in die altbekannten, bürokratischen Auffassungen zurückgezogen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen, den vorhandenen Spielraum, den sie bei einer wohlwollenden Interpretation der einschlägigen Gesetze sehr wohl hätte, auszuschöpfen bzw. wenigstens einer Duldung mit Auflagen zuzustimmen.

Interessant an dieser Begründung ist, daß bei den zuständigen Behörden anscheinend ein schon fast panische Angst vorherrscht, ein von ihnen geduldeter Wagenbewohner könne unter Umständen andere Wagenbewohner nach sich ziehen oder sogar erst auf ähnliche Ideen bringen.

In einem anderen Fall werden besondere Naturschutzbelange herangezogen:(7)

Durch den Zirkuswagen wird die natürliche Eigenart der Landschaft und ihre Aufgabe als Erholungsgebiet erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Der Begriff der natürlichen Eigenschaft der Landschaft umfaßt das öffentliche Interesse, die freie Landschaft vor einer im Vergleich zu ihrer Umgebung wesensfremden Nutzung zu schützen. der Außenbereich soll mit seiner naturgegebenen Bodennutzung und seinen Erholungsmöglichkeiten für die Allgemeinheit grundsätzlich von jeglicher Bebauung bewahrt bleiben. De Zirkuswagen stellt im Außenbereich ein Fremdkörper dar, der sich störend auf die natürliche Eigenart der Landschaft und den Naturgenuß auswirkt.

Aber auch die Anlage selbst (also: der Wohn-Wagen) ist von den Verordnungen nicht ausgeschlossen:

Der 43 NBauO regelt im einzelnen die Anforderungen an den Wohnraum:

(1) Aufenthaltsräume sind Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind oder nach Lage, Größe und Beschaffenheit für diesen Zweck benutzt werden können.

(2) Aufenthaltsräume müssen eine für ihre Benutzung ausreichende Grundfläche und eine lichte Höhe von mindestens 2,40 m über mindestens zwei Dritteln ihrer Grundfläche haben.(..)
(8)

Schon der Herd oder Ofen (9) gilt für sich allein als bauliche Anlage und bedarf offiziell einer gesonderten Genehmigung.

Neben dem Baurecht kommen unter Umständen noch Hygiene-, Naturschutz-, Abwasser- und Abfallbestimmungen, oder, da die meisten der fahrenden Behausungen aus Holz gefertigt sind, feuerpolizeiliche Gesichtspunkte zum Tragen, so daß sich für den Fall einer möglichen Räumungsbestrebung also eine breite Palette gesetzlicher Bestimmungen anbietet, das Wagenleben behördlicherseits per se zu verbieten.

Gerade die (groß)-städtischen Wagenkolonien haben darunter schwer zu leiden und kaum eins der mehr als 40 bundesdeutschen Wagendörfern ist auf Dauer von staatlichen Repressalien verschont.

Aus einer Räumungsverfügung gegen die Bewohner der Wagenburg am Engelbecken (Berlin) v. 07.10.1993 (10):

(...) das Recht zu bauen, ist Ausfluß des Eigentums am Grundstück. Sie sind weder Eigentümer desselben noch berechtigte Besitzer (Nutzer). Wenn selbst der Eigentümer, dem die Eigentumsgarantie des Artikels 14 GG zusteht, bzw. der berechtigte Nutzer eines Grundstücks dieses nur im Rahmen der Gesetze bebauen dürfen, so muß dies erst recht für den unberechtigten nutzer gelten. (...) Nach von uns feststellbaren Tatsachen verstößt der jetzige Zustand gegen folgende baurechtliche Vorschriften:

1. gegen 15 BauOBln, weil die anforderungen an der Brandschutz bezüglich der Vorbeugung der Entstehung und Ausbreitung von Feuer auf Grund der willkürlichen Anordnung der baulichen Anlagen und des herumliegenden Materials zum Teil nicht gegeben sind,

2. gegen 39 S. 2 BauOBln,, weil zu einer Brandbekämpfung keine ausrei chende Wassermenge zur Verfügung steht,

3. gegen 16 BauOBln, weil ein Wärmeschutz entsprechend unseren klimatischen Verhältnissen nicht vorhanden ist,

4. gegen 39 S. 1 BauOBln, da eine dauernde Versorgung mit Trinkwasser nicht gesichert ist,

5. gegen 40 Abs. 1 BauOBln, weil eine einwandfreie Beseitigung der Abwäs ser und Niederschlagswässer nicht dauern gesichert ist,

6. gegen 47 Abs. 1 BauOBln, weil Ihre Bau- und Wohnwagen weder mit Badewanne oder Dusche ausgestattet sind,

7. gegen 47 Abs. 2 BauOBln, weil in den Bau- und Wohnwagen keine Toilet ten vorhanden sind,

8. gegen 10 Abs. 2 BauOBln, weil die Wagenburg in ihrer Gestaltung und ihrer Wirkung auf die Umgebung mit dieser in so starken Mißverhältnis steht, daß sie das Stadtbild verunstaltet,

9. gegen 34 Abs. 1 S. 2 BauGB, weil die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gewahrt sind.

(...) Auch bei großzügiger Betrachtung alternativer Lebensformen in einer offenen, sich dynamisch entwickelnde und pluralistische Gesellschaft liegt ein Verstoß gegen ungeschriebene gesellschaftliche Verhaltensregeln und Wertevorstellungen vor, die nach herrschende Anschauung als unerläßliche Voraussetzung für ein gedeihliches staatsbürgerliches Zusammenleben anzusehen sind.

Das äußere Erscheinungsbild der Wagenburg wird von einer Abhäufung baurechtswidriger Bau- und Wohnwagen sowie Bretterbuden geprägt. Dies widerspricht den modernen Vorstellungen von einem geordneten Zusammenleben in einer Großstadt, zumal in der Innenstadt, insbesondere auch dem ästetischen Empfinden der übrigen Bevölkerung in direktet Nachbarschaft, die sichschon mehrfach mit Beschwerden an das Beuirksamt gewandt hat. Für die überwiegende Mehrheit der Berliner Bevölkerung ist die dauerhafte Existenz von Wagenburgen in der Innenstadt unerträglich.

Beliebt bei den Behörden sind dabei -neben dem bewährtem Baurecht und dessen vielfältigen Interpretationsvarianten- auch immer wieder der Hinweis auf Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung und eine damit einhergehende allgemeine Störung des gesellschaftlichen Friedens.

Aus einer Räumungsverfügung: (11)

"Beseitigung einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit auf dem Grundstück (...)"

Allen Eigentümern wird aufgrund 11 des Nds. Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG) aufgegeben, diesen Bauwagen zu entfernen. (...) Weiterhin ist es gesetzlich verboten, diesen Bauwagen auf Flächen abzustellen, auf denen einen gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit eintreten würde, indem sie weiterhin gegen Baurechts- und Straßenverkehrsnormen verstoßen. Sollten sie weiterhin geseteswidrig handeln, ist eine Sicherstellung dieses Bauwagens nicht ausgeschlossen. (...)

Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, daß mit diesem Bauwagen wiederholt Verstöße gegen das geltene Recht und somit Ordnungswidrigkeiten begangen worden sind. (...) Die bisherigen Erfahrungen mit der Aufstellung von illegalen Wagenburgen haben gezeigt, daßohne ein sofortiges Einschreiten der jetzige Zustand verfestigt wird und eine Vorbildbildung in der Weise hat, daß sich Nachahmer anschließen, die Gruppe sich vergrößert und weitere Wagenburgen entstehen.

Die Beseitigungsverfügung ist das erforderliche, geeignete und angemessene Mittel, um die Widerherstellung rechtmäßiger Zustände sicherzustellen und die Störung der öffentlichen Sicherheit zu beheben. Der von ihnen vorgebrachte Vorwand, sie würden durch die Räumung obdachlos, muß als Schutzbehauptung zurückgewiesen werden. Vielmehr wollen sie mit ihrem Handeln eine von ihnen angestrebte andere "Lebensform" gegen jegliche bestehende Rechtsnormen durchsetzen.


Zum Teil werden aber noch härtere Geschütze aufgefahren. In Berlin wurde wurde das Wagendorf an der Berliner "East Side Gallery" (12) unter Hinweis auf angebliche kriminelle Aktivitäten und Drogenhandel offiziell als "gefährlicher Ort" deklariert und das Bundeskriminalamt eingeschaltet, wodurch die Polizei in die Lage versetzt worden war, jederzeit und ohne einen Durchsuchungsbefehl vorweisen zu müssen, die Wagenburg zu durchsuchen und unter Umständen Razzien durchführen zu dürfen.

Sogar Seuchengesetze wurden bemüht, um eine Räumung zu ermöglichen. (13)

In diesem Zusammenhang springen gewisse Parallelen zu der Zigeuner- und Landfahrerproblematik während des Dritten Reiches und davor förmlich ins Auge (14) - wenigstens was die direkte Konfrontation zwischen der stigmatisierten Randgruppe und der jeweiligen bürgerlichen Nachbarschaft betrifft.

So heißt es in einem Urteil des III. Senats des preußischen Oberwaltungsgerichtes vom 18. April 1929, wo es um die Wohnsitituation auf einem von Zigeunern bewohntem innerstädischem Platz ging:

" Eine auf einem städtischen Grundstück in unmittelbarer Nähe bewohnter Häuser gelegenes Zigeunerlager bildet gewöhnlich eine gesundheitliche Gefahr im Sinne des 10 II 17 ALR. (...)

Nach amtlicher Feststellung befindet sich ihr an die Zigeuner vermietetes Grundstück in einem unsauberen Zustande. Im besonderen ruft die Art der Beseitigung der Abfälle eine stete gesundheitliche Gefährdung der Umwohner hervor, durch welche der Ungezieferplage in erheblichem Maße Vorschub geleistet wird.(...)

Wenn in einer Stadt wie B., auf einem verhältnismäßig kleinen Platze in 8 Wohnwagen 6 Familien, bestehend aus 17 Erwachsenen und 15 Kindern, längere Zeit wohnen, so bedeutet diese Art des Zusammenwohnens an sich schon eine erhebliche gesundheitliche Gefahr für diese 32 Personen selbst und die Anwohner des Wohnplatzes, wenn nicht besondere hygienische Vorsichtsmaßregeln getroffen werden. Diese Gefahr erhöht sich, wenn die unter diesen primitiven Verhältnissen wohnenden Personen Zigeuner, also Menschen sind, die im allgemeinen infolge des ihnen angeborenen Hanges zum Umherziehen Lebensgewohnheiten an sich haben, die bei dauerndem Verweilen an einer Stelle mit schweren gesundheitlichen Gefahren verbunden sind ."
(15)

Der IV. Senat des Oberverwaltungsgerichts in Berlin ging in seiner Rechtsauffassung noch weiter: (16)

"(...) Die Neigung der meisten Zigeuner zu gewissen Arten von strafbaren Handlungen ist eine so allgemein bekannte und feststehende Tatsache, daß in der Ministerialvefügung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens vom 17. Februar 1906 (MBliB. S. 53, in Erinnerung gebracht durch den Erlaß v. 3. November 1922, MBliB. S. 1081) eine Zusammenstellung der Bestimmungen, gegen welche gerade Zigeuner häufig verstoßen, gegeben und in in dem Ministerialerlasse vom 3. November 1927 (MBliB. S. 1045) die Entnahme von Fingerabdrücken von allen nicht seßhaften Zigeunern angeordnet ist.

Die häufige Straffälligkeit der Zigeuner ist ohne Frage eine Tatsache im Sinne des 15 des Gesetzes, und es ist zu erwägen, ob die Tatsache, daß ein Zigeuner nicht bestraft ist, eine hinreichende Gewähr dafür bietet, daß er nicht gelegentlich auch Felddiebstähle usw. begehen werde; ob nicht die Ansiedlung einer oder zweier Zigeunerfamilien (...) in Ansiedlung bald zu einem beliebten Ausflugziele der anderen in der Stadt zurückbleibenden Zigeuner machen und die Grundstücke der Umgebung (...) gefährden würde (...)"


Und sogar noch nach dem Krieg (1959) wurde in Hamburg (in Bremen seit 1956) eigens ein spezielles Wohnwagengesetz erlassen, das das Leben im Wagen per definitionem verbietet (siehe Anhang). Entstanden ist dieses Gesetz auf Grund der völlig desolaten Wohnsituation im Hamburg der Nachkriegszeit.

Tausende und aber Tausende von Flüchtlingen und Vertriebenen waren in die zerbombte Stadt gekommen und vorerst u.a. auch in bereitgestellten Wohnwagen untergekommen. Hinzu kamen viele Roma und Sinti Familien, die fortan in riesigen Wagensiedlungen inmitten Hamburgs wohnten. 1959 lebten 2600 Menschen in 1250 Wohnwagen, weitere 100.000 in Gartenlauben und -Hütten. Aus einer Chronik der Polizeiwache Mörkenstraße:

" In den Wohnwagen hausen Familien mit Kindern. Viele Landfahrer, lichtscheues Gesindel, Dirnen und Homosexuelle. Die Wohnwagen sind zuallererst der größte Übelstand im Revierbereich."

Mit Hilfe des Wohnwagengesetzes wurden in Folge die Wagen zwangsgeräumt und die Bewohner entweder vertrieben oder in Obdachlosenheime gesteckt.(17)

Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, noch weitere Zusammenhänge und Entwicklungen im historischem Kontext ( gerade auch im Hinblick auf die nationalsozialistische Vernichtungspolitik den sog. Zigeunern gegenüber (18) ) aufzeigen zu wollen, aber schon bei diesen Beispielen, die willkürlich aus einer vielzähligen Aneinanderreihung von ähnlichen Urteilen und gerichtlichen Auseinandersetzungen gegriffen worden sind, zeigt die Jahrhunderte währende unheilvolle Gleichsetzung von Zigeunern und Landfahrern mit Sicherheitsrisiken, mangelder Hygiene und Kriminalität eine tief in den Köpfen der staatlichen Organe und der Bevölkerung verankerte Abscheu und Angst vor den in Wagen lebenden Menschen. Nicht von ungefähr wird so auch der Wohnwagenbewohner von heute immer noch mit den gleichen Vorurteilen aus früheren Zeiten belegt.

Und auch die Hamburger Bauwagenbewohner der achtziger und neunziger Jahre müssen immer wieder damit rechnen, auf Grund des Wohnwagengesetzes aus ihren Wagen vertrieben zu werden. Bei den Auseinandersetzungen um die besetzten Häuser in der Hafenstraße 1989 z.B. wurden die dort stehenden Bauwagen als "Abfall" deklariert (19) und, je nach Zustand beschlagnahmt oder "entsorgt".(20)



Aber zunehmend zeigen die Behörden eine gewisse Toleranz und Gelassenheit:

"Wir haben drei Wagenplätze in Hamburg. Wieviele Wagen dort stehen und wieviele Menschen darin leben, weiß niemand. Die Plätze sind illegal. Die Bezirksämter sehen weg und drücken die Augen zu. Solange alles ruhig ist, wird auch nicht geräumt. Aberdas kann Ihnen offiziell natürlich niemand sagen, denn eigentlich ist das ja alles gegen das Gesetz." (21)

Das es auch anders geht, zeigen jüngste Beispiele aus Rüsselsheim, Hannover, Tübingen, Bremen, Oldenburg, Köln, Lüneburg oder Berlin.

Nach vielen vorhergehenden Schwierigkeiten und zähen Verhandlungen zwischen den Wagenbewohnern und den jeweilig zuständigen Verwaltungen wurden individuelle Verträge geschlossen, die es den Wagendörfern gestatten, auf ausgewiesenen, städtischen Grundstücken legal zu siedeln. Wenn diese Verträge auch eine Vielzahl von Klauseln und Einschränken und Auflagen jedweder Art beinhalten, so schaffen sie insgesamt doch eine Rechtsgrundlage (wenngleich auch keinen allgemeinen Rechtsanspruch !), die es den Wagenwohnenden ermöglichen, langfristig und ohne Angst vor einer möglichen Räumung diese, ihre gewählte Wohnform ausleben zu können.


Anmerkungen

(1) Entsprechend die Bauordnungen der anderen jeweiligen Bundesländer, hier zitiert nach Grosse-Suchsdorf et al, 1987

(2) Selbst Haus- und Wohnboote würden also unter den Begriff der Baulichen Anlage fallen, da sie durch eine Verankerung am Grund oder Ufer eine praktisch nicht lösbare Verbindung darstellen.

(3) Fliegende Bauten sind bauliche Anlagen, die geeignet und bestimmt sind, an verschiedenen Orten wiederholt und befristet aufgestellt und wieder abgebaut zu werden. (...) Zelte, die dem Wohnen dienen, und Wohnwagen gelten nicht als fliegende Bauten.

(4) Das Gesetz hat in 19 Abs. 1 (...) den Außenbereich als diejenigen Gebiete bestimmt, die weder innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, noch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile bestimmt.(...) Der Außenbereich ist vielmehr "negativ" definiert.

(5) darunter fallen z.B. land- oder forstwirtschaftliche Bauten bzw. deren Nutzung etc.

(6) gemeint sind hier ein kleines Gewächshaus, eine aufgestellte Bank und ein Sonnenschirm (!)

(7) aus der Räumungsverfügung von Heike (vgl.: Kap. 3.3.1), die mit ihrem Zirkuswagen auf einem landwirtschaftlich genutzten Ackergrundstück stand

(8) Im Kommentar (s.o.) steht dazu: "Nicht nur aus Gründen der Gefahrenabwehr, sondern auch aus Gründen der Sozial- und Wohlfahrtspflege, insgesamt also zur Erreichung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse, stellt 43 allgemeine Anforderungen an die Beschaffenheit und die Anordnung von Aufenthaltsräumen"

(9) (im Behördendeutsch: "ortsfeste Feuerstätten")

(10) zitiert nach Anoyma, 1996

(11) Diese Räumungsverfügung erging im September 1994 gegen die Wagenbewohner des Oldenburger Wagendorfes.

(12) Räumung am 17.07.1996

(13) Angeblich hatte es mehrere Fälle von sog. offenen Tuberkuloseerkrankungen gegeben

(14) ... wenngleich wir diese Problematik auch nicht überstrapazieren wollen, da die Situation der damaligen Landfahrer und sog. Zigeuner nicht auf die heutige Zeit übertragbar sind. Eine Gleichsetzung der heutigen Wohnwagenbewohner mit denen aus früheren Zeiten ist aus vielerlei Gründen nicht statthaft und würde dem unendlichem Leid der in den Konzentrationslager versklavten, gefolterten und getöteten Roma und Sinti in keinster Weise gerecht werden.

(15) Zitiert nach: Entscheidungen des preussischen Oberwaltungsgerichts. Bd. 95, Nr 61, S. 279 - 283

(16) Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin v. 07. Juni 1928. Zitiert nach: Entscheidungen des preussischen Oberwaltungsgerichts. Bd. 84, Nr 51, S. 236 - 241
(In diesem Fall ging es ebenfalls um mögliche Gefährdungen von Anliegern durch in der Nachbarschaft siedelnden Zigeuner.)

(17) Alle Angaben zitiert nach: "Alles Schöne wird verboten, Videofilm, Hamburg 1989

(18) in diesem Zusammenhang sei hingewiesen auf den Erlaß zur "Bekämpfung der Zigeunerplage" v. 8.12.1938 , indem alle noch im Reichsgebiet lebenden sog. Zigeuner quasi von staats wegen für "vogelfrei" erklärt wurden: in: (Ministerialblatt des Reichs- und preussischen Ministeriums des Inneren nr. 51 v. 1938, Berlin: Carl Heymann Verlag, 1938 S. 2105 - 2110)

(19) den nachfolgend dokumentierten "Abfall-Aufkleber" fand ein Hamburger Bauwagenbewohner eines Tages an seinem "rolling home".

(20) Zu der Hamburger Bauwagenproblematik und den Auseinandersetzungen um die Räumung der Hafenstraße am 26. Mai 1989; vergleiche hierzu die im Anhang aufgeführten Zeitungsartikel und Film- und Videobeiträge, bzw. das im Anhang dokumentierte Hamburger Wohnwagengesetz v. 1959

(21) TAZ v. 15. 04. 1996


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