Wer im Wagen leben will, hat mit einer Fülle von Regelwerken, Gesetzen,
Anordnungen und Bestimmungen zu rechnen, die explizit festlegen, ob und
unter welchen Umständen ein Wohnen im Wagen erlaubt werden kann:
Nach der Niedersächsischen Bauordnung (1) (NBauO) 2 Abs. 1
sind Bau- Zirkus-, Wohnwagen u.ä. als "Bauliche Anlagen"
zu betrachten und unterliegen somit der Genehmigungsflicht: (1) Bauliche
Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene oder auf ihm ruhende, aus Baustoffen
und Bauteilen hergestellte Anlagen. Eine Verbindung mit dem Boden besteht
auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Boden ruht (...)
oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt, überwiegend
ortsfest benutzt zu werden. Dies gilt vor allem für Fahrzeuge, die
wie Gebäude o. dergl. benutzt werden. Dabei ist es unerheblich, ob
diese fahrtüchtig sind oder nicht. (2)
Auch der Begriff der sog. "fliegenden Bauten" (3) ist
eindeutig in 84 NBauO definiert und läßt dem Wagenwohnenden,
da Wohnwagen und selbst Zelte ausdrücklich ausgeklammert sind, keinerlei
Spielraum. Es liegt also bei der jeweilig zuständigen Baubehörde,
ob diese eine dementsprechende Genehmigung erteilt. Da sie aber dem allgemeinen
politischem und gesellschaftlichen Umfeld verflichtet ist, ist der dabei
zur Verfügung stehende Spielraum für die Entscheidungsgründe
beträchtlich. Dieser Spielraum allerdings wird i.d.R. zu Lasten der
Wagenbewohner ausgelegt.
In 1 NBauO werden die baulichen Anlagen grundsätzlich - aber interpretierbar
- bewertet: (1) Bauliche Anlagen müssen so angeordnet, beschaffen
und für ihre Benutzung geignet sein, daß die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung nicht gefährdet wird. Besonders dürfen
Leben oder Gesundheit nicht bedroht werden. Unzumutbare Belästigungen
oder unzumutbare Verkehrsbehinderungen dürfen nicht entstehen.
(3)
Bauliche Anlagen dürfen nicht verunstaltet wirken und dürfen
auch das Gesamtbild ihrer Umgebung nicht verunstalten.
Da hilft es auch nicht, auf einen der vielen bundesweiten Campingplätze
oder Kleingartenanlagen auszuweichen. Diese nämlich sind als ganzes
schon als bauliche Anlage eingestuft und lassen ein dauerhaftes Wohnen
nicht zu. Das bundesweit einheitliche Baugesetzbuch (BauGB) wiederum regelt
in 35 das Bauen im sog. Außenbereich (4) und ist somit also
für alle Wagenbewohner, die im ländlichen Raum siedeln, von existientiellem
Belang.
Danach ist das Bauen grundsätzlich nur der sog. "privilegierten"
(5) Benutzung vorbehalten, ansonsten besteht i.d.R. ein allgemeines,
absolutes Bauverbot.
Aus einer Räumungsverfügung: Das betreffende Grundstück
liegt im Außenbereich (...). Der Wohnwagen dient keinem landwirtschaflichen
Betrieb und ist auch sonst in keiner Weise gemäß 35 Abs.1 BauGB
im Außenbereich privilegiert.
Der Wohnwagen ist gemaß 35 Abs. 2 BauGB als sonstiges Vorhaben im
Außenbereich nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht
beeinträchtigt werden. Durch die Aufstellung des Holzwagens zu Wohnzwecken
entsteht ein Siedlungssplitter, der beim Gesetzgeber grundsätzlich
unerwünscht ist. Darüber hinaus wir die natürliche Eigenart
der Landschaft durch den Wohnwagen mit seinen baulichen Anlagen beeinträchtigt.
Eine Beeinträchtigung (...) erfolgt durch jede nicht natürlich
gewachsene Anlage.
Aufgrund der Beinträchtigung dieser öffentlichen Belange ist
der Holzwagen mit der Wohnnutzung und die Nebenanlagen (6) auf dem
o.a. Grundstück unzulässig und damit materiell baurechtswidrig.
Diese baulichen Anlagen sind formell baurechtswidrig, weil sie ohne die
gemäß 68 Abs. 1 NBauO erforderlichen Baugenehmigung aufgestellt
und genutzt worden sind.
Zur Beseitigung dieser baurechtswidrigen Zustände kann der Landkreis
(...) gemäß 89 Abs. 1 NBauO entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Die Aufgabe des Holzwagens (...) ist auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit
am besten geeignet, wieder ordnungsgemäße Zustände herzustellen.
Die sofortige Vollziehung dieses Bescheides wird gemäß 80 Abs.
2 Ziffer 4 der Verwaltungsgerichtsordnung angeordnet.
Diese Anordnung bedeutet, daß ein Widerspruch keine aufschiebende
Wirkung hat.
Nach ständiger Rechtssprechung liegt in der Baugenehmigungspflicht
ein präventives Bau- und Nutzungsverbot, zu dessen Durchsetzung die
Bauaufsichtsbehörde im Falle der Verletzung regelmäßig
eine mit Vollziehungsanordnung verbundene Nutzungsuntersagung und Beseitigungsverfügung
erlassen darf. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß rechtswidrige
Baumaßnahmen nicht hingenommen werden können, ohne auf die Dauer
das Baugenehmigungsverfahren selbst in Frage zu stellen und rechtswidrige
Baumaßnahmen gleichsam zu belohnen. (...)
Im vorliegenden Fall ist der Wohnwagen mit seiner Wohnnutzung auch materiell
baurechtswidrig. Es kann aus Gründen der Gleichberechtigung nicht
hingenommen werden, daß der Holzwagen einschließlich der Wohnnutzung
bis zum Abschluß eines evt. Widerspruchs- und Klageverfahren, das
u.U. über Jahre dauern kann, dort stehenbleiben kann. Andere Bauwillige,
die zunächst den Ausgang des Baugenehmigungsverfahren abwarten, bevor
sie die Baumaßnahme durchführen, würden dadurch benachteilt
werden. Schließlich könnte das Verbleiben des Wohnwagens an
der Stelle andere zur Nachahmung anregen.
Aus diesen Gründen liegt die Anordnung der sofortigen Vollziehung
im besonderen öffentlichen Interesse.
Die Baubehörde hat in diesem Fall das Wohnen im (Bau)wagen mit
dem Errichten eines Hauses ohne Baugenehmigung (Schwarzbau) gleichgesetzt
und sich bei der juristischen Bewertung in die altbekannten, bürokratischen
Auffassungen zurückgezogen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu
machen, den vorhandenen Spielraum, den sie bei einer wohlwollenden Interpretation
der einschlägigen Gesetze sehr wohl hätte, auszuschöpfen
bzw. wenigstens einer Duldung mit Auflagen zuzustimmen.
Interessant an dieser Begründung ist, daß bei den zuständigen
Behörden anscheinend ein schon fast panische Angst vorherrscht, ein
von ihnen geduldeter Wagenbewohner könne unter Umständen andere
Wagenbewohner nach sich ziehen oder sogar erst auf ähnliche Ideen
bringen.
In einem anderen Fall werden besondere Naturschutzbelange herangezogen:(7)
Durch den Zirkuswagen wird die natürliche Eigenart der Landschaft
und ihre Aufgabe als Erholungsgebiet erheblich in Mitleidenschaft gezogen.
Der Begriff der natürlichen Eigenschaft der Landschaft umfaßt
das öffentliche Interesse, die freie Landschaft vor einer im Vergleich
zu ihrer Umgebung wesensfremden Nutzung zu schützen. der Außenbereich
soll mit seiner naturgegebenen Bodennutzung und seinen Erholungsmöglichkeiten
für die Allgemeinheit grundsätzlich von jeglicher Bebauung bewahrt
bleiben. De Zirkuswagen stellt im Außenbereich ein Fremdkörper
dar, der sich störend auf die natürliche Eigenart der Landschaft
und den Naturgenuß auswirkt.
Aber auch die Anlage selbst (also: der Wohn-Wagen) ist von den Verordnungen
nicht ausgeschlossen:
Der 43 NBauO regelt im einzelnen die Anforderungen an den Wohnraum:
(1) Aufenthaltsräume sind Räume, die zum nicht nur vorübergehenden
Aufenthalt von Menschen bestimmt sind oder nach Lage, Größe
und Beschaffenheit für diesen Zweck benutzt werden können.
(2) Aufenthaltsräume müssen eine für ihre Benutzung ausreichende
Grundfläche und eine lichte Höhe von mindestens 2,40 m über
mindestens zwei Dritteln ihrer Grundfläche haben.(..) (8)
Schon der Herd oder Ofen (9) gilt für sich allein als bauliche
Anlage und bedarf offiziell einer gesonderten Genehmigung.
Neben dem Baurecht kommen unter Umständen noch Hygiene-, Naturschutz-,
Abwasser- und Abfallbestimmungen, oder, da die meisten der fahrenden Behausungen
aus Holz gefertigt sind, feuerpolizeiliche Gesichtspunkte zum Tragen, so
daß sich für den Fall einer möglichen Räumungsbestrebung
also eine breite Palette gesetzlicher Bestimmungen anbietet, das Wagenleben
behördlicherseits per se zu verbieten.
Gerade die (groß)-städtischen Wagenkolonien haben darunter schwer
zu leiden und kaum eins der mehr als 40 bundesdeutschen Wagendörfern
ist auf Dauer von staatlichen Repressalien verschont.
Aus einer Räumungsverfügung gegen die Bewohner der Wagenburg
am Engelbecken (Berlin) v. 07.10.1993 (10):
(...) das Recht zu bauen, ist Ausfluß des Eigentums am Grundstück.
Sie sind weder Eigentümer desselben noch berechtigte Besitzer (Nutzer).
Wenn selbst der Eigentümer, dem die Eigentumsgarantie des Artikels
14 GG zusteht, bzw. der berechtigte Nutzer eines Grundstücks dieses
nur im Rahmen der Gesetze bebauen dürfen, so muß dies erst recht
für den unberechtigten nutzer gelten. (...) Nach von uns feststellbaren
Tatsachen verstößt der jetzige Zustand gegen folgende baurechtliche
Vorschriften:
1. gegen 15 BauOBln, weil die anforderungen an der Brandschutz bezüglich
der Vorbeugung der Entstehung und Ausbreitung von Feuer auf Grund der willkürlichen
Anordnung der baulichen Anlagen und des herumliegenden Materials zum Teil
nicht gegeben sind,
2. gegen 39 S. 2 BauOBln,, weil zu einer Brandbekämpfung keine
ausrei chende Wassermenge zur Verfügung steht,
3. gegen 16 BauOBln, weil ein Wärmeschutz entsprechend unseren
klimatischen Verhältnissen nicht vorhanden ist,
4. gegen 39 S. 1 BauOBln, da eine dauernde Versorgung mit Trinkwasser
nicht gesichert ist,
5. gegen 40 Abs. 1 BauOBln, weil eine einwandfreie Beseitigung der
Abwäs ser und Niederschlagswässer nicht dauern gesichert ist,
6. gegen 47 Abs. 1 BauOBln, weil Ihre Bau- und Wohnwagen weder mit
Badewanne oder Dusche ausgestattet sind,
7. gegen 47 Abs. 2 BauOBln, weil in den Bau- und Wohnwagen keine
Toilet ten vorhanden sind,
8. gegen 10 Abs. 2 BauOBln, weil die Wagenburg in ihrer Gestaltung
und ihrer Wirkung auf die Umgebung mit dieser in so starken Mißverhältnis
steht, daß sie das Stadtbild verunstaltet,
9. gegen 34 Abs. 1 S. 2 BauGB, weil die Anforderungen an gesunde
Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gewahrt sind.
(...) Auch bei großzügiger Betrachtung alternativer Lebensformen
in einer offenen, sich dynamisch entwickelnde und pluralistische Gesellschaft
liegt ein Verstoß gegen ungeschriebene gesellschaftliche Verhaltensregeln
und Wertevorstellungen vor, die nach herrschende Anschauung als unerläßliche
Voraussetzung für ein gedeihliches staatsbürgerliches Zusammenleben
anzusehen sind.
Das äußere Erscheinungsbild der Wagenburg wird von einer Abhäufung
baurechtswidriger Bau- und Wohnwagen sowie Bretterbuden geprägt. Dies
widerspricht den modernen Vorstellungen von einem geordneten Zusammenleben
in einer Großstadt, zumal in der Innenstadt, insbesondere auch dem
ästetischen Empfinden der übrigen Bevölkerung in direktet
Nachbarschaft, die sichschon mehrfach mit Beschwerden an das Beuirksamt
gewandt hat. Für die überwiegende Mehrheit der Berliner Bevölkerung
ist die dauerhafte Existenz von Wagenburgen in der Innenstadt unerträglich.
Beliebt bei den Behörden sind dabei -neben dem bewährtem
Baurecht und dessen vielfältigen Interpretationsvarianten- auch immer
wieder der Hinweis auf Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit
und Ordnung und eine damit einhergehende allgemeine Störung des gesellschaftlichen
Friedens.
Aus einer Räumungsverfügung: (11)
"Beseitigung einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche
Sicherheit auf dem Grundstück (...)"
Allen Eigentümern wird aufgrund 11 des Nds. Gefahrenabwehrgesetzes
(NGefAG) aufgegeben, diesen Bauwagen zu entfernen. (...) Weiterhin ist
es gesetzlich verboten, diesen Bauwagen auf Flächen abzustellen, auf
denen einen gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit
eintreten würde, indem sie weiterhin gegen Baurechts- und Straßenverkehrsnormen
verstoßen. Sollten sie weiterhin geseteswidrig handeln, ist eine
Sicherstellung dieses Bauwagens nicht ausgeschlossen. (...)
Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, daß mit diesem Bauwagen
wiederholt Verstöße gegen das geltene Recht und somit Ordnungswidrigkeiten
begangen worden sind. (...) Die bisherigen Erfahrungen mit der Aufstellung
von illegalen Wagenburgen haben gezeigt, daßohne ein sofortiges Einschreiten
der jetzige Zustand verfestigt wird und eine Vorbildbildung in der Weise
hat, daß sich Nachahmer anschließen, die Gruppe sich vergrößert
und weitere Wagenburgen entstehen.
Die Beseitigungsverfügung ist das erforderliche, geeignete und angemessene
Mittel, um die Widerherstellung rechtmäßiger Zustände sicherzustellen
und die Störung der öffentlichen Sicherheit zu beheben. Der von
ihnen vorgebrachte Vorwand, sie würden durch die Räumung obdachlos,
muß als Schutzbehauptung zurückgewiesen werden. Vielmehr wollen
sie mit ihrem Handeln eine von ihnen angestrebte andere "Lebensform"
gegen jegliche bestehende Rechtsnormen durchsetzen.
Zum Teil werden aber noch härtere Geschütze aufgefahren. In Berlin
wurde wurde das Wagendorf an der Berliner "East Side Gallery"
(12) unter Hinweis auf angebliche kriminelle Aktivitäten und
Drogenhandel offiziell als "gefährlicher Ort" deklariert
und das Bundeskriminalamt eingeschaltet, wodurch die Polizei in die Lage
versetzt worden war, jederzeit und ohne einen Durchsuchungsbefehl vorweisen
zu müssen, die Wagenburg zu durchsuchen und unter Umständen Razzien
durchführen zu dürfen.
Sogar Seuchengesetze wurden bemüht, um eine Räumung zu ermöglichen.
(13)
In diesem Zusammenhang springen gewisse Parallelen zu der Zigeuner- und
Landfahrerproblematik während des Dritten Reiches und davor förmlich
ins Auge (14) - wenigstens was die direkte Konfrontation zwischen
der stigmatisierten Randgruppe und der jeweiligen bürgerlichen Nachbarschaft
betrifft.
So heißt es in einem Urteil des III. Senats des preußischen
Oberwaltungsgerichtes vom 18. April 1929, wo es um die Wohnsitituation
auf einem von Zigeunern bewohntem innerstädischem Platz ging:
" Eine auf einem städtischen Grundstück in unmittelbarer
Nähe bewohnter Häuser gelegenes Zigeunerlager bildet gewöhnlich
eine gesundheitliche Gefahr im Sinne des 10 II 17 ALR. (...)
Nach amtlicher Feststellung befindet sich ihr an die Zigeuner vermietetes
Grundstück in einem unsauberen Zustande. Im besonderen ruft die Art
der Beseitigung der Abfälle eine stete gesundheitliche Gefährdung
der Umwohner hervor, durch welche der Ungezieferplage in erheblichem Maße
Vorschub geleistet wird.(...)
Wenn in einer Stadt wie B., auf einem verhältnismäßig kleinen
Platze in 8 Wohnwagen 6 Familien, bestehend aus 17 Erwachsenen und 15 Kindern,
längere Zeit wohnen, so bedeutet diese Art des Zusammenwohnens an
sich schon eine erhebliche gesundheitliche Gefahr für diese 32 Personen
selbst und die Anwohner des Wohnplatzes, wenn nicht besondere hygienische
Vorsichtsmaßregeln getroffen werden. Diese Gefahr erhöht sich,
wenn die unter diesen primitiven Verhältnissen wohnenden Personen
Zigeuner, also Menschen sind, die im allgemeinen infolge des ihnen angeborenen
Hanges zum Umherziehen Lebensgewohnheiten an sich haben, die bei dauerndem
Verweilen an einer Stelle mit schweren gesundheitlichen Gefahren verbunden
sind ." (15)
Der IV. Senat des Oberverwaltungsgerichts in Berlin ging in seiner Rechtsauffassung
noch weiter: (16)
"(...) Die Neigung der meisten Zigeuner zu gewissen Arten von strafbaren
Handlungen ist eine so allgemein bekannte und feststehende Tatsache, daß
in der Ministerialvefügung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens
vom 17. Februar 1906 (MBliB. S. 53, in Erinnerung gebracht durch den Erlaß
v. 3. November 1922, MBliB. S. 1081) eine Zusammenstellung der Bestimmungen,
gegen welche gerade Zigeuner häufig verstoßen, gegeben und in
in dem Ministerialerlasse vom 3. November 1927 (MBliB. S. 1045) die Entnahme
von Fingerabdrücken von allen nicht seßhaften Zigeunern angeordnet
ist.
Die häufige Straffälligkeit der Zigeuner ist ohne Frage eine
Tatsache im Sinne des 15 des Gesetzes, und es ist zu erwägen, ob die
Tatsache, daß ein Zigeuner nicht bestraft ist, eine hinreichende
Gewähr dafür bietet, daß er nicht gelegentlich auch Felddiebstähle
usw. begehen werde; ob nicht die Ansiedlung einer oder zweier Zigeunerfamilien
(...) in Ansiedlung bald zu einem beliebten Ausflugziele der anderen in
der Stadt zurückbleibenden Zigeuner machen und die Grundstücke
der Umgebung (...) gefährden würde (...)"
Und sogar noch nach dem Krieg (1959) wurde in Hamburg (in Bremen seit 1956)
eigens ein spezielles Wohnwagengesetz erlassen, das das Leben im Wagen
per definitionem verbietet (siehe Anhang). Entstanden ist dieses Gesetz
auf Grund der völlig desolaten Wohnsituation im Hamburg der Nachkriegszeit.
Tausende und aber Tausende von Flüchtlingen und Vertriebenen waren
in die zerbombte Stadt gekommen und vorerst u.a. auch in bereitgestellten
Wohnwagen untergekommen. Hinzu kamen viele Roma und Sinti Familien, die
fortan in riesigen Wagensiedlungen inmitten Hamburgs wohnten. 1959 lebten
2600 Menschen in 1250 Wohnwagen, weitere 100.000 in Gartenlauben und -Hütten.
Aus einer Chronik der Polizeiwache Mörkenstraße:
" In den Wohnwagen hausen Familien mit Kindern. Viele Landfahrer,
lichtscheues Gesindel, Dirnen und Homosexuelle. Die Wohnwagen sind zuallererst
der größte Übelstand im Revierbereich."
Mit Hilfe des Wohnwagengesetzes wurden in Folge die Wagen zwangsgeräumt
und die Bewohner entweder vertrieben oder in Obdachlosenheime gesteckt.(17)
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, noch weitere Zusammenhänge
und Entwicklungen im historischem Kontext ( gerade auch im Hinblick auf
die nationalsozialistische Vernichtungspolitik den sog. Zigeunern gegenüber
(18) ) aufzeigen zu wollen, aber schon bei diesen Beispielen, die
willkürlich aus einer vielzähligen Aneinanderreihung von ähnlichen
Urteilen und gerichtlichen Auseinandersetzungen gegriffen worden sind,
zeigt die Jahrhunderte währende unheilvolle Gleichsetzung von Zigeunern
und Landfahrern mit Sicherheitsrisiken, mangelder Hygiene und Kriminalität
eine tief in den Köpfen der staatlichen Organe und der Bevölkerung
verankerte Abscheu und Angst vor den in Wagen lebenden Menschen. Nicht
von ungefähr wird so auch der Wohnwagenbewohner von heute immer noch
mit den gleichen Vorurteilen aus früheren Zeiten belegt.
Und auch die Hamburger Bauwagenbewohner der achtziger und neunziger Jahre
müssen immer wieder damit rechnen, auf Grund des Wohnwagengesetzes
aus ihren Wagen vertrieben zu werden. Bei den Auseinandersetzungen um die
besetzten Häuser in der Hafenstraße 1989 z.B. wurden die dort
stehenden Bauwagen als "Abfall" deklariert (19) und, je
nach Zustand beschlagnahmt oder "entsorgt".(20)
Aber zunehmend zeigen die Behörden eine gewisse Toleranz und Gelassenheit:
"Wir haben drei Wagenplätze in Hamburg. Wieviele Wagen dort
stehen und wieviele Menschen darin leben, weiß niemand. Die Plätze
sind illegal. Die Bezirksämter sehen weg und drücken die Augen
zu. Solange alles ruhig ist, wird auch nicht geräumt. Aberdas kann
Ihnen offiziell natürlich niemand sagen, denn eigentlich ist das ja
alles gegen das Gesetz." (21)
Das es auch anders geht, zeigen jüngste Beispiele aus Rüsselsheim,
Hannover, Tübingen, Bremen, Oldenburg, Köln, Lüneburg oder
Berlin.
Nach vielen vorhergehenden Schwierigkeiten und zähen Verhandlungen
zwischen den Wagenbewohnern und den jeweilig zuständigen Verwaltungen
wurden individuelle Verträge geschlossen, die es den Wagendörfern
gestatten, auf ausgewiesenen, städtischen Grundstücken legal
zu siedeln. Wenn diese Verträge auch eine Vielzahl von Klauseln und
Einschränken und Auflagen jedweder Art beinhalten, so schaffen sie
insgesamt doch eine Rechtsgrundlage (wenngleich auch keinen allgemeinen
Rechtsanspruch !), die es den Wagenwohnenden ermöglichen, langfristig
und ohne Angst vor einer möglichen Räumung diese, ihre gewählte
Wohnform ausleben zu können.
Anmerkungen
(1) Entsprechend die Bauordnungen der anderen jeweiligen Bundesländer,
hier zitiert nach Grosse-Suchsdorf et al, 1987
(2) Selbst Haus- und Wohnboote würden also unter den Begriff
der Baulichen Anlage fallen, da sie durch eine Verankerung am Grund oder
Ufer eine praktisch nicht lösbare Verbindung darstellen.
(3) Fliegende Bauten sind bauliche Anlagen, die geeignet und bestimmt
sind, an verschiedenen Orten wiederholt und befristet aufgestellt und wieder
abgebaut zu werden. (...) Zelte, die dem Wohnen dienen, und Wohnwagen gelten
nicht als fliegende Bauten.
(4) Das Gesetz hat in 19 Abs. 1 (...) den Außenbereich als
diejenigen Gebiete bestimmt, die weder innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs
eines Bebauungsplans, noch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile
bestimmt.(...) Der Außenbereich ist vielmehr "negativ"
definiert.
(5) darunter fallen z.B. land- oder forstwirtschaftliche Bauten
bzw. deren Nutzung etc.
(6) gemeint sind hier ein kleines Gewächshaus, eine aufgestellte
Bank und ein Sonnenschirm (!)
(7) aus der Räumungsverfügung von Heike (vgl.: Kap. 3.3.1),
die mit ihrem Zirkuswagen auf einem landwirtschaftlich genutzten Ackergrundstück
stand
(8) Im Kommentar (s.o.) steht dazu: "Nicht nur aus Gründen
der Gefahrenabwehr, sondern auch aus Gründen der Sozial- und Wohlfahrtspflege,
insgesamt also zur Erreichung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse,
stellt 43 allgemeine Anforderungen an die Beschaffenheit und die Anordnung
von Aufenthaltsräumen"
(9) (im Behördendeutsch: "ortsfeste Feuerstätten")
(10) zitiert nach Anoyma, 1996
(11) Diese Räumungsverfügung erging im September 1994
gegen die Wagenbewohner des Oldenburger Wagendorfes.
(12) Räumung am 17.07.1996
(13) Angeblich hatte es mehrere Fälle von sog. offenen Tuberkuloseerkrankungen
gegeben
(14) ... wenngleich wir diese Problematik auch nicht überstrapazieren
wollen, da die Situation der damaligen Landfahrer und sog. Zigeuner nicht
auf die heutige Zeit übertragbar sind. Eine Gleichsetzung der heutigen
Wohnwagenbewohner mit denen aus früheren Zeiten ist aus vielerlei
Gründen nicht statthaft und würde dem unendlichem Leid der in
den Konzentrationslager versklavten, gefolterten und getöteten Roma
und Sinti in keinster Weise gerecht werden.
(15) Zitiert nach: Entscheidungen des preussischen Oberwaltungsgerichts.
Bd. 95, Nr 61, S. 279 - 283
(16) Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin v. 07. Juni 1928.
Zitiert nach: Entscheidungen des preussischen Oberwaltungsgerichts. Bd.
84, Nr 51, S. 236 - 241
(In diesem Fall ging es ebenfalls um mögliche Gefährdungen von
Anliegern durch in der Nachbarschaft siedelnden Zigeuner.)
(17) Alle Angaben zitiert nach: "Alles Schöne wird verboten,
Videofilm, Hamburg 1989
(18) in diesem Zusammenhang sei hingewiesen auf den Erlaß
zur "Bekämpfung der Zigeunerplage" v. 8.12.1938 , indem
alle noch im Reichsgebiet lebenden sog. Zigeuner quasi von staats wegen
für "vogelfrei" erklärt wurden: in: (Ministerialblatt
des Reichs- und preussischen Ministeriums des Inneren nr. 51 v. 1938, Berlin:
Carl Heymann Verlag, 1938 S. 2105 - 2110)
(19) den nachfolgend dokumentierten "Abfall-Aufkleber"
fand ein Hamburger Bauwagenbewohner eines Tages an seinem "rolling
home".
(20) Zu der Hamburger Bauwagenproblematik und den Auseinandersetzungen
um die Räumung der Hafenstraße am 26. Mai 1989; vergleiche hierzu
die im Anhang aufgeführten Zeitungsartikel und Film- und Videobeiträge,
bzw. das im Anhang dokumentierte Hamburger Wohnwagengesetz v. 1959
(21) TAZ v. 15. 04. 1996
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