3.4. einzelne Wagenbewohner

3.4.1 - z.B. Monika und Martin (Ein Interview) (1)

Im Juni 1997 besuchen wir Monika (27) und ihren Mitbewohner Martin (27). Die beiden wohnen auf dem Grundstück von Monikas Eltern auf dem Land, 20 km von Oldenburg entfernt.

Ihre zwei Wagen stehen auf einer Wiese, ca 150 m hinter dem elterlichen Hof, versteckt und von Außen nicht einsehbar. Sie ist umsäumt von Bäumen und Rhododendronbüschen. Überall grünt und blüht es. Frösche hüpfen umher und die Vögel zwitschern. Und wenn dies auch nach Klischee klingt, ist es doch Idylle pur.
Die Bauwagen fügen sich harmonisch in die Umgebung ein. Kein Müll, kein Unrat stört das Gesamtkunstwerk.

Wie das Land, so auch die beiden Bewohner. Sie wollen ihr Grundstück nicht besitzen, ihm nicht den Stempel des Eroberers aufzudrücken, sondern versuchen, ganz im Gegenteil und soweit das für die Beiden eben möglich ist, die Ursprünglichkeit zu wahren, und, sollte es einmal der Fall sein, wieder wegzuziehen, und dieses Paradies im Urzustand zurückzulassen. Bei Tee und Keksen erzählen Monika und Martin aus ihrem Leben und den Erfahrungen mit dem Wagenleben.


Frage: Wie seid Ihr zum Wagenleben gekommen?


Monika:

Ich bin schon früh wegen Streß etc. zu Hause ausgezogen. 1990 habe ich mein Abi gemacht und bin in eine Wohngemeinschaft gezogen, wo ich mich sehr wohl gefühlt habe, wir dann aber nach einem dreiviertel Jahr gekündigt worden sind. Es ergab sich aber, daß ich auf einem Biohof in X. ein Praktikum beginnen konnte. Dort habe ich dann auch einige Leute getroffen, die im Wagen lebten und habe gedacht: Das ist es! Kurz darauf habe ich den Wagen geschenkt bekommen. Auf dem Gelände des Biohofs standen insgesamt sechs bis sieben Bauwagen, und einen wollten sie verschrotten. Den habe ich geschenkt bekommen und dort ausgebaut. Als das Praktikumsjahr zuende ging, bin ich dann mit meinem Motorrad herumgefahren und habe nach einem Stellplatz gesucht und gefunden. Nicht weit von X entfernt habe ich auch sofort einen günstigen Stellplatz gefunden, wo wir (Es standen da noch 2 andere Wagen) dann zweieinhalb Jahre gestanden haben, bis wir gekündigt worden sind. Da gab es Ärger mit dem Vermieter. Das Haus, hinter dem wir standen, ist verkauft worden und der neue Vermieter fand das wohl nicht so schön und hat uns hinauskomplimentiert und so wir mußten uns einen neuen Platz suchen. Am neuen Standort habe ich wiederum 2 1/2 jahre gestanden, bis ich dann auch wegmußte und jetzt bin ich hier.
Das ist die Alternative zum Haus, das man sich nicht leisten kann.

Martin:

Zum Wagenleben bin ich gekommen, als es vor 3 Jahren den Ärger gab mit den Oldenburgern Wagenburglern. Die standen zu der Zeit noch in Wechloy auf dem Uni-Parkplatz und ich hatte ein Praktikum mit einer Frau gemacht, die in der Wagenburg lebte. So habe ich da ein bißchen von der Problematik mitgekriegt und habe mich öfter mit ihnen getroffen. Gleichzeitig musste ich mir ein neues Zimmer suchen. Ich hatte die eine oder andere Erfahrung in meiner Wohngemeinschaft gemacht, die nicht so toll war. Darauf hatte ich keinen Bock mehr, zumal ich auch nicht mehr solche Mieten zahlen wollte, die locker an mein Bafög herankamen. Auf der Solifete der Wagenburg habe ich dann einen Stellplatz und auch einen Wagen angeboten bekommen. In der Wagenburg wollte ich aber nicht wohnen, habe mir aber einen alten Bauwagen, den Freunde von Monika loswerden wollten, gekauft. Und so habe ich eben angefangen, im Wagen zu wohnen, dort, wo auch Monika mit ihrem Wagen stand.

Frage: Was verbindet Ihr mit dem Wagenleben bzw. gibt es Euch eine Perspektive für Euer Leben?


Martin:

Das da ist Mein, und wenn ich ihn verkaufe, dann sind da meine Lebenspuren darin, das bin ich gewesen, der darin gelebt hat.

Monika:

Für mich ist das Wagenleben die Form, auf meine Art und Weise das Minimalprinzip zu leben. Ich nehme so wenig Platz weg wie möglich und ich mache dabei so wenig Grün platt wie möglich. Ich denke, dieser Wagen fügt sich ein in diesen Wald. Hier könntest Du kein Haus einfügen und wenn ich den Wagen wieder wegziehe, dann dauert es vier Wochen, dann ist alles wieder zugewachsen und ich war nie da. Das ist für mich Wagenleben...

Martin:

...Wagenleben, weil Du draußen wohnen willst, weil Du mehr mitkriegen willst, weil Du ein Stück weit Selbstbestimmung haben willst, Dich selbst entfalten willst, und Du kannst Wagenleben als Protesthaltung gegen etabliertes Leben interpretieren.

Monika:

Am Anfang war das so, das ich ganz viel Wert darauf gelegt habe, daß ich, wenn ich umziehen muß, auch mein Haus mitnehmen kann, wie eine Schnecke ihr Haus. Da war das noch nicht klar, wo ich hinwollte, da wollte ich auch noch nicht seßhaft werden. Da fand ich es einfach toll, wie 'ne Schnecke mein Haus mitzunehmen. Das ist immer noch mein erster Wagen, den habe ich geschenkt bekommen und hab ihn ausgebaut und liebe ihn heiss und innig.
Für mich ist dies, solange ich alleine lebe, die optimale Form zu leben.
Na ja, das Wagenleben ist auch ganz schön anstrengend. Zum Beispiel das Heizen im Winter. Ich kann nie länger als acht, neun Stunden wegbleiben. Ich muß dann die Wasserflaschen in Sicherkeit bringen, sonst ist alles eingefroren und wenn ich dann nach hause komme, dauert es zwei, drei Stunden bis der Wagen warm ist. Aber Gas oder Öl oder so, das möchte ich gar nicht. Ich will diesen Aufwand ja auch, ich will den Komfort auch gar nicht. Wenn ich morgens frühstücke, will ich schon für meine Grundbedürfnisse gesorgt haben. Das ist wie eine Therapie, wenn man die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens geschaffen hat, dann hat man schon was geleistet. Einfach dadurch, das es warm ist, daß es nicht reinregnet, hat man schon sein Tagwerk getan. Und das will ich mir nicht kaputt machen. Ich will auch mein Wasser hertragen. Meine Kollegen auf der Arbeit müssen nicht durch den Matsch gehen, kein Holz und Wasser schleppen, die haben viel mehr Zeit für alles andere. Auf der anderen Seite lebe ich auch in dieser Gesellschaft und muß mich arrangieren mit dieser anderen Welt, dieser "Zivilisation".
Es ist schon etwas schizophren, ich habe aber auch keinen Bock auf eine reine Aussteigerei und Freaktum. Das ist ein eben alles ein Seiltanz. Ich muß immer wieder gucken: was gibt mir das Wagenleben, was muß ich dafür zahlen an Aufwand etc. und was gibt es mir auf der anderen Seite an Erfahrung.
Das ausschließliche Wagenleben wird bei mir sicherlich irgendwann dem Ende zugehen. Auf die Dauer wird mir der Wagen auch zu klein. Wenn das mit dem Haus hier klappt, dann kann ich mir vorstellen, daß dies mein Wagen bleibt, mein Rückzugsraum, wo ich auch sein werde und auch mehr, nicht nur einmal die Woche, aber eben nicht ausschließlich. Bezugspunkt wird dann aber wohl das Haus sein.
Durch die Schwierigkeiten überall, nicht bleiben zu können, hat sich eine Sehnsucht entwickelt, mich endlich niederzulassen. Und das hab ich hier eben. Ich habe keinen Bock auf diese behördlichen Spielballspielchen; nie sicher zu sein, wie lange man noch da, wo man gerade steht, noch bleiben kann. Und so hat der Wagen sich etwas überlebt, weil ich hier nicht wieder weg will von meinem Grund und Boden, aber trennen kann ich mich auch nicht. Und ich fühle mich im Haus eigentlich auch gar nicht wohl, ich möchte im Wagen wohnen und im Haus. Da bin ich schon etwas zerrissen innerlich. Nicht mehr im Wagen kochen zu können, das macht mich kribbelig. Ich spiele jetzt auch immer mehr mit dem Gedanken, ein Kind haben zu wollen. Aber Kind, und dann im Wagen? Ne, das klappt nicht, dafür ist der Wagen zu klein. Ich habe vor Jahren auf diesen 11 qm mit meinem Freund gewohnt, und dann noch mit Kind? Das sprengt dann doch den Rahmen. Also: wenn Kind, dann Haus und so weiter...aber so richtig ausziehen will ich eigentlich nicht aus meinem Wagen.

Frage: wie ist das Verhältnis zu Außenstehenden, gab es schon Ärger mit Nachbarn oder Behörden oder ist das kein Problem für Euch?


Monika:

Wir haben uns hier im Dorf irgendwie ganz gut eingeführt, wir sind hier so reingefallen, daß das niemand mitbekommen hat, haben 'ne Weile gewartet und dann bei einigen Leuten aus dem Dorf und so durchsickern lassen, daß wir hier im Wagen wohnen. Selbst unsere Nachbarn haben monatelang nicht gewußt, daß wir hier stehen. Und das wir hier wohnen, das kann sich hier immer noch keiner so richtig vorstellen. Aber es gab keinerlei Reaktion der Dörfler, weder positiv noch negativ. Aber als eine von hier, als alteingesessenes Mitglied der Dorfgemeinschaft, wurde ich zwar insgeheim belächelt, aber ansonsten gab's keinen direkten Ärger mit denen.
Sicherer geht es im Wagen in Deutschland nicht. Wenn es eine rechtliche Grundlage gäbe für ein vernünftiges Wagenleben, dann würden nicht so viele Leute damit aufhören, aus lauter Frust, immer wieder vertrieben zu werden.
Aber als wir noch in K. gestanden haben, da hat einer von uns sich auf eine Lehrstelle beworben, und hat dann beim Vorstellungsgespräch auf die Frage, wo er denn wohnen würde, geantwortet, daß er im Wagen wohnen würde. Natürlich hat er die Lehrstelle nicht gekriegt, mit der Begründung des Chefs, er könne es sich nicht vorstellen, wie jemand eine Lehre machen kann, wenn er sich doch nicht waschen kann. So, das ist auch die Frage der meisten Leute: "Wo wascht Ihr euch? Wo geht Ihr auf Toilette? Aber wenn man dann zeigen kann, hier im Haus und man kann zeigen, wie man wirklich lebt, dann ist es o.k.. Ansonsten zeigen die Leute nur eine Verständnislosigkeit, von wegen, wie ist es dann denn im Winter und so. Das Dorf lebt schon auch mit, das kriegen die auch mit und das interessiert die auch, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, zu sehen, es gibt noch etwas Anderes als das, was die sonst gewohnt sind.
Als Olaf hier wohnte ( Ich wohnte zu der Zeit noch in X ), und er stand, davon abgesehen, daß er kein "Hiesiger" war, sichtbarer, als wir jetzt, kam ganz schnell ein Brief, in dem mit 1000,-- DM Zwangsgeld gedroht wurde, wenn der Wagen nicht schnellstens wegkäme. Das hätten die nie getan, wenn die nicht so eine Paranoia vor der Wagenburg [in Oldenburg] gehabt hätten. Die haben ganz klar Front gemacht, aus Angst vor den Wagenburglern, die, wenn sie nicht in Oldenburg stehen dürften, dann alle bei uns im Landkreis einfallen würden. Das ging nicht um den Wagen hier, überhaupt nicht. Als direkte Nachbargemeinde haben die total Angst, zum Zufluchtort für die Oldenburger und vielleicht noch andere zu werden.
Behördlicherseits hatte ich persönlich nie Ärger. Aber in K. hatten wir einmal Besuch von befreundenten Wagenleuten mit Wagen und Trecker und die blockierten damit die Straße, so daß der Milchwagen nicht mehr durchkam. Daraufhin rief die Gemeinde rief, wir möchten doch bitte den Wagen einen Meter weiter wegfahren, und das war's dann auch schon. Ich persönlich glaube, es macht total viel aus, wie man sich mit dem Wagen hinstellt, ob man Raum einnimmt und sichtbar ist oder ob man tendenziell versucht, zu verschwinden und unsichtbar ist. Es gibt Leute, wie die Oldenburger, die stellen sich hin und wollen was darstellen und zeigen, das sie etwas anderes sind und wollen das auch nach außen tragen. Das ist ja auch o.k., aber so etwas ist doch schwierig hier in Deutschland. Mein Weg ist eher der, daß ich versuche, mit der Umgebung zu verschmelzen, so daß mich keiner sieht und wenn, dann auf die sympathische Art, eher so wie Peter Lustig. Ich bin kein Anarcho und ich will auch nicht provozieren. Ich will in erster Linie als Mensch wahrgenommen werden und nicht als dreckiger, stinkiger Wagenmensch. Als ich bei der Stadt gearbeitet habe, habe ich erst nach einem 3/4 Jahr gemerkt, daß noch zwei andere Kollegen von mir auch im Wagen wohnen. Das hat man uns einfach nicht angesehen und das ist mir eigentlich lieber. Im Jugendzentrum, wo ich gearbeitet habe, habe ich erst nach geraumer Zeit von meinem Wagenleben erzählt und die fanden das alle toll und haben die Photos betrachtet und waren auch mal zusammen mit meinem Chef hier. Aber sie sollten erst wissen, wie ich wohne, nachdem sie mich als Mensch kennengelernt haben und nicht umgekehrt. Und erst dadurch verändert sich das Verhältnis der Leute zu uns Wagenmenschen, ohne das die Schubladen sofort aufgehen. Ich möchte zuerst als Person wahrgenommen werden und nicht als DIE aus dem Wagen. Ich hasse nichts mehr, als mich überall darstellen zu müssen als DIE aus dem Wagen.
Eine Freundin von mir wohnt auch im Wagen im eigenen Garten und hat ihr Haus vermietet; auch 'ne lustige Konstellation. Ansonsten wohnen alle von früher, bis auf zwei Ausnahmen, nicht mehr im Wagen. Ich lerne Leute kennen, die mir sympatisch sind, und nicht weil die Leute im Wagen wohnen.


Frage: Würdet ihr euch als politisch bezeichnen? Seht ihr ein politisches Element, eine politische Dimension im Wagenleben?


Monika:

Prinzipiell ist alles politisch und jeder Tropfen zieht größere Kreise aber... Mein Vater ist stockkonservativ und war sehr skeptisch aber er hat mich hier doch besucht und auch im Wagen übernachtet und findet das inzwschen o.k.. Er hat gemerkt, daß ich, nur weil ich im Wagen wohne, nicht assozial bin und ist dadurch viel offener geworden und hat eingesehen, das das gar nicht so schlecht ist, was ich hier mache. Ich denke, ich bin generell unpolitisch hoch drei. Ich wähle und das wars dann. Alles andere ist sinnlos, weil man sowieso nur zwischen den Übeln entscheidet. Wenn ich mich wirklich für die Politik entscheiden würde, würde ich über kurz oder lang kriminell werden und weil ich das nicht will, habe ich mich für die konstruktive Seite des Lebens entschieden. Nicht alle fitten Leute müssen demonstrieren und manche müssen auch etwas anderes machen, Kontrapunkte setzen und ich lebe so, wie ich es für richtig halte und versuche das alles umzusetzen. Wenn das jemand mitkriegt, ist es gut, aber ich muß mich damit nicht produzieren.
Mir geht es darum, meinen Weg zu gehen und ich habe mich daher völlig ins Private zurückgezogen. Ich kann das begründen und find das so in Ordnung. Ich sehe keinen Sinn, mich politisch zu betätigen und wenn alle den Kohl wollen, dann muß ich eben damit leben.
Zum Märtyrer will ich nicht werden. Ich schaffe mir meine Nische und ich bin auch ehrgeizig. Ich habe ein gutes Diplom in der Tasche und die Professoren wissen, ich wohne im Wagen . Das sind Connections, daß die Leute merken, daß nicht alle Wagenbewohner langhaarig, dreckig sind und nur prostestieren, um des Protestes willen. Das ist auch Politik, daß du Klischees aufbrichst. Ich versuche nur so zu sein, wie ich bin.
Auch die Leute vom Wagenstammtisch waren keine Freaks, oder was man darunter versteht. Das sind im grunde alles Leute gewesen, die einfach nach einem Ort gesucht haben, wo man selbst kontruktiv das eigene Leben in die Hand nehmen kann. Der Wagenstammtisch war für mich nie politisch, sondern eher ein Austausch von Erfahrungen: Wie hast Du deinen Wagen denn isoliert und wie war das noch mit der Dachpappe und wo bekommt man das billige Holz usw. Wir wollten ja auch nie etwas besetzen, wir hatten ja die Idee, uns auf pseudo-legalem Weg dadurchzumogeln und zu versuchen, die Maschen des Gesetzes für uns zu nutzen, legal und öffentlich, ohne jemandem auf die Füsse treten zu müssen.
Also muß man abtauchen und einfach tun, was man für richtig erachtet. Ansonsten verpulverst du Deine Energie darin, gegen die Wand zu rennen, bis du umfällst. Und wofür?
Ich bin nicht gegen diese Gesellschaft. Solange die Gesellschaft mich so akzeptiert, wie ich bin, so lange akzeptiere ich auch deren Regeln. Zum Glück habe ich nie größeren Ärger gehabt. Was gewesen wäre, wenn so ein blöder Paragraphenreiter dahergekommen ware, weiß ich nicht, aber prinzipell hätte ich versucht, mich zu verstecken mit dem Wagen und irgendwann wäre ich wahrscheinlich verzweifelt, aber zum Glück...

Martin:

...denn man muß immer im Hintergrund bleiben, sobald jemand schreit, mußt Du gehen, es sei denn, Du hast Lust, Deinen Wagen aufs Spiel zu setzen, und der Wagen: das sind jetzt drei Jahre meines Lebens, die ich da rein gesteckt habe. Den will ich weiter bewohnt wissen, oder ich halt 'nen Feuerzeug daran. aber den laß ich nicht von irgendeiner Behörde einsacken und vergammeln. Das passiert nicht.
Eine Weile will ich aber schon noch im Wagen wohnen bleiben. Perpektivisch weiß ich natürlich noch nicht, was ich mache, wenn ich als Biologe fertig bin, wo ich dann hinkomme und wenn ich nichts kriege, dann ist der Wagen natürlich eine gute Möglichkeit, auf einem "low level" zu leben. Wenn ich aber woanders hinmuß, dann werde ich ihn wohl verkaufen oder vermieten, damit er weiterleben kann, der Wagen.
Wenn du mit Dir selbst zurechtkommst, wenn es dir gut geht, dann kannst du auch mit anderen Leuten zurechtkommen. Du wirst erst dann glaubhaft sein, wenn du dieses auch ausstrahlen kannst. Die Leute erkennen den hohlen Bauch, aus dem man labert. Nur wenn ich von mir und meinem Weg überzeugt bin, kann ich den Leuten auch etwas vermitteln.

Monika:

Ich würde meinen Wagen nie zum Politikum machen. Also ich möchte mit meinem Wagen, mit meinem Zuhause, auf keinen Fall Politik machen und riskieren, daß er abgeräumt oder kaputt gemacht wird. Ich würde den Wagen nie an die forderste Front stellen. Generell ist meine Devise: Ich versuche, mich anzupassen und zu verschwinden, wenn Gefahr droht, quasi die Mimikry-Taktik. Ich versuche, nicht aufzufallen und wenn die Nachbarn es brauchen, dann hänge ich auch einen Geranienkasten vor das Fenster. Ich bin da und mach, was ich will, aber ich muß es ja nicht jedem auf die Nase binde, wie z. B. die Wagenburgler: Die haben sich hingestellt und nur gefordert: Wir wollen jetzt im Wagen wohnen und nun seht mal zu, wie Ihr uns das ermöglicht. Die haben gefordert und gefordert, wie die kleinen trotzköpfigen Kinder. Also, ich hab da nicht drinnen gesteckt und ich habe das nur von weitem gesehen und ich bin da von Anfang an auch sauer darüber gewesen, denn die haben einfach eine Sache öffentlich gemacht, die auch für die ganzen anderen Leute, die versteckt drum 'rum leben, ganz schön zum Verhängnis werden kann. Wenn erstmal allen klar wird, daß das alles nicht erlaubt ist, dann stehen wir hier auch anders da. Die haben nicht nur ihr Ding durchgezogen, die haben eine ganze Menge schlafende Hunde geweckt. Das kann auch uns zum Verhängnis werden. Ich muß mich nicht präsentieren, dieses Wohnen ist mein privates Ding.

Martin:

Ich würde nur im Notfall in der Wagenburg wohnen. Ich denke, wenn man erst erstmal abtaucht und dann ganz langsam wieder hochkommt, dann gibt es total viele Möglichkeiten, Leuten etwas zu vermitteln. Ich denke, daß ist viel politischer; insofern bin ich bestimmt politisch. Ich halte mich aus der Politik heraus. Politik ist Machtpolitik. In der Machtpolitik ist immer einer, der sich bemächtigt und einer, der sich entmächtigt. Sobald das jemand mit mir vorhat, versuche ich, mich daraus zurückzuziehen, damit niemand die Möglichkeit hat, mich zu entmächtigen und zu manipulieren. Hier weiss keiner, was ich hier mache. Sobald Du in irgendwelche Strukturen hereingehst, die nicht von unten her kontrolliert werden, sondern, wie es bei uns immer organisiert ist, von oben hierarchisch, versuche ich, mich herauszuhalten, da halt ich meine Finger raus. Auch die Opposition ist kanalisiert, nur eine Form des Systems. Solange das funktioniert, funktioniert auch das System. Wird sich irgendjemand, der im Parlament oder Landtag sitzt, auch nur ein graues Haar wachsen lassen, wenn er hört, daß Zehntausende auf die Straße gehen und demonstrieren? Zehntausend Leute, die expliziet sagen, wir haben keinen Bock auf das, was ihr da macht. Das ist die deutlichste politische Aussage, die man treffen kann, das wird einfach ignoriert, zehntausendfach. Und die vielen Tausende auf den Demos in Gorleben, diese Stimmen sind einfach ignoriert worden. Solange das nicht eine Relevanz zeigt im politischen Leben, ist dieser Widerstand blödsinnig, weil die Mittel falsch sind. Wenn ich gesellschaftlich in irgendeiner Weise etwas verändern möchte, möchte ich aber nicht die Mittel des Systems benutzen. Dann muß ich das von unten her machen, und nicht von oben. Das geht auch, wenn ich mich in diese Gesellschaft eingliedere, aber nicht mit den Werten dieser Gesellschaft, nicht mit den Mitteln und nicht mit den Methoden, sondern mit anderen, meinen Werten, die ich für mich ganz oben ansetze.
Das sind die zwei Spiegelbilder von mir, das ist ambivalent aber nicht schizophren. Ich fühle mich in keiner Weise irgendwie bewegt, auf die sog. Bewegung bezogen. Ich habe meinen eigenen Antrieb, und wenn ich merke, das geht über meine Möglichkeiten hinaus, dann war's das für mich. Ich habe keine Ambitionen, irgendjemanden zu missionieren. Ich kann niemandem vorschreiben, was für ihn das Richtige ist.
Aus einer Bewegung in das Wagenleben hinein, diese Wurzeln habe ich nicht. Bei mir ist es eine Rückzugsbewegung, 'raus aus der Stadt. Das, was ich hier mache, das bin ich, das ist ein Teil meiner Selbstverwirklichung. Ich habe das Leben im Wagen hier angefangen, mit dem Vorbehalt: Stopf man nicht zuviel in den Wagen. Du weißt nicht, ob du das überhaupt leben kannst. Diese Zweifel, diese Unsicherheit, ob das alles auch so geht...Alles andere wird sich ergeben. Aber klar ist: Das Wohnen im Wagen ist eine Lebens- und keine reine Wohnform.

Monika:

Meine Generation ist keine politische Generation. Das hat sich schon etwas verändert. Und der Rückzug ins Private ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Der Glaube daran, etwas bewegen zu können in großem Stil, an eine Bewegung, ist nicht vorhanden. Für mich ist wichtig, daß die Leute sich einfach Gedanken machen. Ich will keinen bekehren, ich mach nur das, was ich will, ohne aber egoistisch zu sein. Mir geht es nur dann gut, wenn es auch meiner Umgebung, meiner Umwelt, meiner Mitwelt gut geht.


3.4.2 -z.B. Heike

Heike W. war eine der ersten Wagenbewohnerin, die sich (noch in der Vorbereitungsphase für den WäglerInnenRundbrief 1989) mit uns in Verbindung setzte und ihre Erfahrungen und Erlebnisse mitteilte.

Heike, ehemalige Lehrerin, Psychologie-Studentin, Puppenspielerin, (Lebens)künsterin und mit 48 Jahren eine der ältesten unter den uns bekannten Wagenbewohnern, lebt seit Ende 1987 im Wagen. 1987 kam sie zum Studieren nach Würzburg. Da sie nur wenig Geld (Bafög) zur Verfügung hatte und ihr die angebotenen Wohnungen zu eng und zu teuer waren, besorgte sie sich einen ausgedienten Zirkuswagen und richtete sich auf einem nahe gelegenem Landfahrerplatz2 häuslich ein, - in harmonischer Nachbarschaft mit einem dort lagernden Sintistamm -.

Zitat Heike: "Doch diese Sintis rümpften die Nase über meinen "altmodischen" Karren, wobei sie sich lebhaft an ihre Großeltern erinnern konnten! Die meisten Sintis fanden einen Kompromiss: Wohnung plus Wagen; doch letzterer modern und ausgestattet mit allen Schikanen, d.h. luxuriös"

Allerdings war ihr Refugium nur von kurzer Dauer, da das örtliche Liegenschaftsamt - mit Hinweis auf bestehende Baubestimmungen (3) - eine sofortige Räumung des Platzes verlangte. Zudem sei auf Landfahrerplätzen nur ein maximaler Aufenthalt von 6 Tagen erlaubt.

Auf diese Aufforderung hin setzte sie sich persönlich mit dem zuständigen Oberbürgermeisten von Würzburg in Verbindung, konnte allerdings, wie auch die nun eingeschaltete Presse, keine Änderung des Bescheides erwirken. Auf Grundes des Zeitungsartikels meldete sich allerdings eine Grundstücksbesitzerin aus dem benachbarten Fleckchen Rimpar und gab ihr "Asyl". Aber auch dort währte ihr Glück nicht allzulange und die staatliche Gesetzesmühle begann aufs Neue zu mahlen und stellte ihr schon bald darauf eine erneute Räumungsverfügung zu, weil inzwischen ein eifriger Jäger, dem der Wagen schon von Prinzip wegen ein Dorn zwischen Kimme und Korn war, Anzeige erstattet hatte .

Zitat Heike:"Kaum stand ich drei Tage auf diesem herrlichen Flecken, kreuzten Sonntag Mittag - 12 Uhr (Highnoon) - die lieben grünen Männchen auf. Sie schimpften nicht schlecht auf den Anzeigenerstatter - einem noch grüneren Männchen (nämlich dem Jagdpächter), dem ich platterdings mitten in der Abschusslinie stand....Daß mich dieser Blödmann von Jäger bei den Bullen anzeigte und diese zur Tat schreiten mußten (obwohl sie es ungerne taten), dadurch wurde diese "Bürokratenmühle" ja erst in Gang gesetzt... und dagegen mußte ich mich...zur Freude der Bevölkerung...wehren."

Gegen den Räumungsbescheid legte sie, mit anwaltlicher Unterstützung, sofortigen Widerspruch ein, der allerdings wiederum (kostenpflichtig) abgeschmettert wurde.

Auch Eingaben der Besitzerin des Grundstücks konnten die Behörden nicht mehr umstimmen und Heike mußte widerstrebend nachgeben. Um ein gutes Stück Geld ärmer aber um viele Erfahrungen reicher verließ sie Bayern und siedelte (per Bahntransport) mit ihrem Zirkusagen nach Bochum um, um dort ihr Studium beenden zu können.

Aber auch dort bekam sie schnell wieder Ärger. Nächtliche Störenfriede warfen Fensterscheiben ein, schlitzten die Reifen auf, stahlen ihre Regentonne und eine Aluleister und rissen sogar, als sie einmal gerade nicht zu hause war, die Wohnwagenwand auf. Und wiederum hagelte es Anzeigen bei Polizei und Behörden. Schon nach wenigen Monaten strich sie erneut entnervt die Segel und flüchtete vor den "intoleranten Kohlenpöttlern", so Heike, ins Rollheimer Dorf nach Berlin, wo sie erst einmal Unterschlupf fand.

Angewidert durch platzinterne Querelen und eine mangelnde ökologische Orientierung innerhalb der "Dorfbewohnerschaft" verließ sie die "Rollheimer" und suchte sich einen abgelegeneren Platz, einige 100 m vom "Dorf" entfernt. Abseits vom allgemeinen Trubel und Gebrodel der Stadt konnte sie dann endlich ihre eigene persönlichen Vorstellungen umsetzen und führte in Folge einen kurzen und heftigen, aber leider vergeblichen Kampf um die Erhaltung ihrer vom Hauptstadtumbau bedrohten, unmittelbaren Umwelt. So bemühte sie sich z.B. um den Verbleib der vom Abholzen bedrohten Bäume und schaffte es sogar, wenn auch nur kurzzeitig, ihre Lebens- und Wohnweise und die damit verbundenen Probleme innerhalb der Medienlandschaft zu thematisieren.


Anmerkungen:

(1) die Namen haben wir aus Rücksicht auf unsere Interviewpartner geändert.

(2) zum Stichwort "Landfahrerplatz" vgl. die (exemplarische) Dokumentation der Landfahrerplatzverordnung der Stadt Oldenburg von 1957;

(3) vgl. hierzu auch Kap. 3.6


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